Konversionen durch UX-Design — eine Case-Study über Kundenakquise für die Pop-up-Kreativagentur “Ideengott”
Marketingleiter/innen wurden per Boten mit einem geheimnisvollen Artefakt beschickt, das zu einer Landingpage für Terminvereinbarungen führte.
Ich habe als UX-Designer im Team mit Projektmanagement, Texter, Grafik-Designer und Marketingmitarbeitern von Großunternehmen für die Akquiseaktion des Pop-up-Kreativ-Agentur-Projekts „Ideengott“ die Verantwortung für
- User Research und Testing,
- Prototyping bis zum
- finalen Visual Design übernommen.
Das Projekt
Die Agentur wollte potentielle Kunden für einen Präsentationstermin gewinnen. Dafür wurden die Leads von einem als Götterbote verkleideten Schauspieler mit einem großen, goldenen Tryptichon beschickt, auf dem Anweisungen standen, die zu einer Landingpage führten. So sollten die Interessenten zu Terminvereinbarungen motiviert werden.
Auftraggeber
Das Pop-Up Kreativ-Agentur-Projekt “Ideengott”
Mitbewerb
Es bot sich eine Lücke in der Wiener Agenturlandschaft für ein derartiges Projekt, da sich die großen Netzwerkagenturen von hier zurückzogen, während sich die meisten Kleineren stark auf Umsetzung von Grafik oder Video o. Ä. ausrichteten. Mittlere bis größere Unternehmen hatten Schwierigkeiten, für abgegrenzte Aktionen ungewöhnliche Lösungen zu finden.
Ziel
Akquise einer handhabbaren Anzahl an namhaften mittelgroßen bis großen Kunden mit für eine kleine Kreativagentur umsetzbaren Projekten für die Erstellung eines Portfolios.
Mein Beitrag
Im Team konzipierte und gestaltete ich die Aktion in unterschiedlichen Funktionen, mit dem Fokus auf die Konversion der potentiellen Kunden. Die Customer Experience war hier entscheidend, da die Aktion selbst als Kompetenzbeweis für die Agentur dienen sollte.
Meine Rollen
- UX Research
- UI/UX Design
- Interaction Design
- Prototyping und User Testing
Ausgangssituation
Ich begann, mit Papierprototypen jeden einzelnen Schritt der Aktion abzubilden, um deren Ablauf zu visualisieren. In einem darauf folgenden Workshop stellten wir die offenen Fragen fest, die mit Untersuchungen bei der Zielgruppe zu klären waren.
Ein Beispiel für ein konkretes Finding durch Costumer Research
Durch Interviews mit Marketingmitarbeitern erfuhren wir von dem Pain einer großen Versicherung, dass deren Leadagentur im Zuge der 100-Jahr-Feier des Unternehmens zu keinerlei ungewöhnlichen Pitches im Rahmen einer gesonderten Kalkulation zu begeistern war. So musste sich die Abteilung selbst etwas Originelles einfallen lassen.
Diese Versicherung konnte ich zu einem der ersten Kunden für die Agentur konvertieren.
Mühsam ernährt sich das Eichhörnchen
Bei allem Aufwand mit der Beschickung durch einen “Götterboten” stellte die Konversion der Interessenten auf der Landingpage den entscheidenden Punkt der Akquise dar. Durch Research und Testing evaluierte ich die Möglichkeiten von
- Call-to-action-Button
- Chatbot
- Pop-up
Lass uns reden — Call-to-action-Button
Ich begann mit dem Offensichtlichen: einem “Contact us”-Call-to-action-Button am ersten Screen – noch “above the fold” – und einem weiteren am Ende der Seite nach dem Pitch.
Bei Tests auf Ebene der Papierprototypen kamen Bedenken auf, dass Call-to-action-Buttons zu bodenständig sein könnten für so eine elaborierte Aktion. Ich ging dieser Frage mit Mock-ups nach und es zeigte sich, dass die Buttons von den Usern gut angenommen wurden.
Ich fand sogar darüber hinaus bei A/B-Tests heraus, dass die Konversion des ersten Buttons noch um 13% stieg, wenn ich ihn ganz oben auf der Seite mittig positionierte.
Die angesprochenen Leads waren von der ungewöhnlichen Aktion oft so aufgeregt, dass sie leicht die konkrete wirtschaftliche Absicht dahinter übersehen konnten. Mit dem Call-to-action-Button als Erstes auf der Landingpage wusste jeder gleich, worum es geht.
Hi, ich bin Gabriel. Worüber möchten Sie reden? — Chatbot
Meine Ausgangshypothese war, dass in dieser Logik von Direkt- und Dialogmarketing, in der sich die Kundenansprache bewegte, ein Chatbot am besten performen würde. Auch von der Integration her sollte sich die übliche Gestaltung mittels eines floating Icons am unteren rechten Ende der Seite gut ins Gesamtbild einfügen.
Bei der Costumer Research stellte sich heraus, dass die sehr unterschiedlichen Ansprechpartner viele stark voneinander abweichende Fragen über so ein breites Thema wie das Angebot einer Kreativagentur an den Chatbot haben. Um das volle Potential eines Chatbots in Richtung Konversion nutzen zu können, stand sehr viel Optimierungsarbeit bevor.
Sobald die Tonalität in der Kundenansprache zu sehr abwich, war die Konversion mit Chatbot geringer als nur mittels Call-to-action-Button. So stufte ich den Bot vorerst herunter zum Assistenten für Fragen, die er beantworten konnte. Zudem ließ ich noch offen, was wir tun würden bei Fragen, bei denen er nicht weiterwusste. Sollte er sich entschuldigen, den Chat weiterleiten an einen Mitarbeiter oder auf einen Termin verweisen?
Eine optimal eingestellte KI wäre allgemein wahrscheinlich die beste Lösung gewesen, aber im Rahmen des gegebenen Projekts, im gegebenen Zeitrahmen, war eine optimale Performance leider nicht zu gewährleisten.
Daher entschieden wir, dass der Chatbot, wenn er nicht weiterwusste, wiederum — wie der Call-to-action-Button — einen persönlichen Termin vorschlagen sollte.
Jetzt ernsthaft, wir sollten wirklich reden! — Pop-up
Pop-ups stellten für mich das letzte Mittel dar, um Kunden kurz vor dem Verlassen der Landingpage offen und direkt bezüglich einer Terminvereinbarung anzusprechen.
Die Gestaltung des Kontaktformulars war eine Herausforderung. Die Interessenten sollten uns bekanntgeben,
- dass sie von uns wegen einer Terminvereinbarung kontaktiert werden wollten,
- über welchen Kanal (E-Mail, Telefon, Messenger usw.) sie von uns kontaktiert werden wollten.
Nach den Tests der verschiedenen Designs gab es einen Gewinner und einen Verlierer:
- Am schlechtesten schnitt die Variante mit Freitextfeld ab, in dem die Kunden auch selber Terminvorschläge machen konnten. Diese Option war zu unkonkret.
- Am besten performte das kürzeste Pop-up, bei dem nur der Name und die bevorzugte Kontaktaufnahmemöglichkeit einzugeben war, mit einem “Ich will einen Termin”-Button zum Absenden.
Da dem Pop-up entweder der Call-to-action-Button oder der Chatbot vorgereiht waren, testete ich die Performance des Pop-ups in Kombination mit diesen. Dadurch kam ich zu einem interessanten Finding.
Alle drei
Fast eher durch Zufall testete ich bei einem Interview zur Evaluierung einer untergeordneten Variante alle drei Mittel, also Call-to-action-Buttons, Chatbot und Pop-up, gleichzeitig. Diese Option erhielt beim Test für mich überraschend das positivste Feedback, sodass ich diesen Ansatz weiter verfolgte.
Für weitere Research stimmte ich alle drei Mittel aufeinander ab und konnte so um 30% bessere Ergebnisse liefern im Vergleich zu den anderen Varianten. Das Feedback der Costumer verstand ich so, dass die (im Grunde eigentlich viel zu aufdringliche) Aufforderung zur Terminvereinbarung durch alle drei Mittel im gegebenen Kontext als vertrauensstiftend wahrgenommen wurde: Den Unternehmen war dadurch klar, dass es uns, so wie ihnen, um Kundengewinnung ging, und wir uns dafür auch die Hände schmutzig machen würden.
Prozessorientierte Designentwicklung
Die große Herausforderung bei der Designentwicklung bestand in der Verbindung des sehr bildhaften und ironisch überhöhten Namens mit Hochwertigkeit und Exklusivität.
Gerade weil es so viele schnelle Einfälle gab zur Darstellung von Göttern im Lauf der Menschheitsgeschichte, wurde jede direkte Bebilderung erhabener Wesen unter dem Titel “Ideengott” als niedrigpreisig eingestuft.
Du sollst dir kein Bildnis machen
Nachdem ich die ersten Mock-ups präsentierte wurde klar, dass das Design in Richtung einer minimalistischen, indirekten Symbolisierung gehen musste.
Ich fand heraus, dass
- Sterne gut verstanden wurden,
- sattes Gold emotional verbunden wurde mit Hochwertigkeit und Religion,
- die Kombination der Schriften Clarendon und Univers das Angebot am Nachvollziehbarsten kommunizierte.
Scroll me, Baby
Den magischen Aspekt des Übernatürlichen konnte ich gut durch einen Reveal-Effekt beim Scrollen spürbar machen: Das untere Drittel der Seite taucht beim Abwärtsscrollen langsam auf, erscheint quasi wie von Zauberhand auf dem Screen. Besonders auf mobilen Endgeräten war der einfache Effekt sehr wirkungsvoll.
(Bitte Seite neu laden, falls gif nicht angezeigt wird)
Nur ein bisschen Code
Ich konnte diese recht simple Scroll-Animation ohne Request an eine Datenbank o. Ä. selber sehr gut mit der skrollr.js-Library lösen:
<script type="text/javascript" src="js/skrollr.stylesheet.min.js"></script><style>
.example {
skrollr animation name:animation1;
}
@-skrollr-keyframes animation1 {
0 {
opacity: 0;
}
300 {
opacity: 1;
}
}
</style>
Die Herausforderung bestand eher in den Unterschieden zwischen den verschiedenen Browsern, sowie passende Fall-backs zur Absicherung zu hinterlegen.
Testen, testen, testen
Da ich mit Marketingleitern eine sehr anspruchsvolle Zielgruppe zu erreichen hatte, legte ich an die physische Aktion des Überbringens des Artefakts genau die gleichen Costumer-Experience-Massstäbe an wie für digitale Produkte.
Der Götterbote
Über unsere Recherchen in den Marketingabteilung stellten wir fest, dass die vielbeschäftigten Abteilungsleiter am ehesten mit einem lautstarken Auftritt zur persönlichen Entgegennahme einer Botschaft zu bewegen sind.
So erschien also ein von uns mit Toga und Lorbeerkranz auffällig ausgestatter Götterbote beim Empfang. Die begeisterte Marketingleitung erhielt ein großes Tryptichon, das ein “Zauberwort” offenbarte. Googelte man dieses Wort, so bekam man nur ein einziges Suchergebnis, das auf eine Landingpage führte. Da jeder potentielle Kunde ein individuelles Zauberwort erhielt, konnten wir diesen auf der Landingpage persönlich ansprechen, was einen zusätzlichen Effekt versprach.
Optimierung durch Testing
Bei Probedurchläufen entdeckten wir, dass in vielen Unternehmen veraltete Versionen des Internet Explorers noch Standard waren. Ich hatte unseren Online-Handshake nur für die gängigen Browser optimiert, aber nicht für diese allgemein ungebräuchlichen Explorer-Versionen. Dank dieser Tests konnte ich unseren Auftritt dahingehend absichern.
Reden ist Gold
Nachdem sich das gesamte Team nach Kräften bemüht hatte, unseren Ansprechpartnern die größtmögliche Show zu bieten, evaluierten wir die ersten Botengänge mit nachfolgenden Befragungen.
In ihrem Feedback gaben mir unsere potentiellen Kunden zu verstehen, dass es bei der Aktion zu sehr um uns und zu wenig um sie ging. Der schillernde Auftritt untergrub das Vertrauen der Ansprechpartner, dass sich die Kreativen bei einem Auftrag an die Lautstärke des Unternehmens anpassen könnten. Die Agentur musste also etwas leiser treten.
Learning
Die weiteren Aktionen wurden von einem ganz normalen Botendienst durchgeführt. Auch das zu übergebende Artefakt adaptierte ich von einem handgefertigten Tryptichon zu einer seriell in der Druckerei produzierten Pyramide. Diese kompakte Form bewegte sich gestalterisch in einem vergleichbaren Spektrum, ließ sich aber sehr gut wie eine Produktverpackung herstellen.
Ein Abfall von 15% bei der persönlichen Entgegennahme des Artefakts war zu verzeichnen. Die Pyramide war dennoch auffällig genug, dass sie allen Ansprechpartnern zugestellt wurde. Ich konnte das Ergebnis mit der verbesserten Aktion in zweierlei Hinsicht steigern:
- Die Kunden sahen, dass wir mit geringen Mitteln einen großen Impakt erreichen konnten.
- Wir sparten Geld und erhöhten dadurch unseren Return.
Business Case
Die Akquiseaktion wurde 27 Mal durchgeführt und es gab 24 Rückmeldungen. Durch das Nachtelefonieren der drei Nicht-Konversions erfuhren wir, dass diese Unternehmen nur an der Beauftragung von Designumsetzung interessiert waren und dafür bereits feste Partner hatten.
Aus den 27 erreichten Präsentationen konnten wir Projekte für namhafte Kunden realisieren wie
- Konzeption und Prototyping für die Sammlung Online des Wien Museum,
- ein neues Online-Musik-Magazin für Universal Music,
- Vertriebsleitung SEE von BMW: die Video-Dokumentation von Verkaufsgesprächen in Autohäusern von Polen bis Ungarn (mit versteckten Kameras in Brillen und Kugelschreibern).
Diese Projekte gingen in die Portfolios der Beteiligten ein, die in weiterer Folge berufliche Weiterentwicklungen
- in der Verlagsbranche,
- als Art Director oder zur
- PR-Leiterin in einem marktführenden Großunternehmen erreichten.