UX-Case Study über Consulting für das Wien Museum
Wie ich das Konzept für die neue Softwarelandschaft erstellte
Als UX-Consultant und Researcher habe ich im Team mit der IT-Leitung, den internen Services und Senior-Kuratoren das Konzept für die neue Softwareumgebung des Wien Museum erstellt.
DAS PROJEKT
Auftraggeber
Wien Museum
Die Initiative für die Neugestaltung der Softwareumgebung des Museums kam von der IT-Leitung.
Das bisherige System war zu
arbeitsaufwendig
Es musste auch für die Dateneingabe durch Studenten für jede Person ein vollständiger Arbeitsplatz am Server eingerichtet werden.
ineffizient
Eine Eingabemaske für alle führte zu übermäßig vielen unnötigen Klicks und Pageloads.
stationär
Jegliche Dateneingabe oder Erfassung von Objekten (z.B. für Ausstellungen) musste vor Ort im Museum am Karlsplatz stattfinden.
Marktanalyse
Die großen Anbieter von Museumssoftware hatten Systeme mit ausreichender Kapazität und konnten gleichzeitig auch die Kundenbetreuung gewährleisten.
Allerdings gab es auch Schwierigkeiten bei:
- Anpassung an die spezifischen Bedürfnisse eines regionalen Museums
- neuen Technologien für Webinterfaces
- Preisgestaltung
Es mussten also genaue Spezifikationen für die zukünftige Softwarelandschaft erarbeitet werden.
Anforderung
Eine kosteneffiziente und bedarfskonforme Zusammenstellung verschiedener Anbieter und Agenturen.
Auftrag
Recherche, Erstellung und Prototyping eines Konzepts für die neue Enterprise-Softwareumgebung des Wien Museum mit den Anforderungen
- remote
- effizient
- anpassbar
Anhand der erarbeiteten Spezifikationen sollte eine kostengünstige Beauftragung der einzelnen Maßnahmen per Ausschreibung gewährleistet werden.
MEIN BEITRAG
Beratung der IT-Leitung, der internen Services und Senior-Kuratoren im Hinblick auf die Einführung eines userzentrierten Systems.
Mittels User Research und Prototyping habe ich eine faktische Basis für die Konzeption der zukünftigen Softwarelandschaft des Wien Museum geschaffen.
Meine Rollen
- UX-Consulting
- User Research
- Konzeption
- Wireframing
- Prototyping
Herangehensweise
Bei einem Projekt in dieser Größenordnung — mit ungewöhnlich vielen Stakeholdern — wollte ich mir als Erstes einen sachlichen Überblick über den gegenwärtigen Zustand verschaffen.
Dazu habe ich unternommen:
- eine unternehmensweite, anonymisierte Software-Evaluierung per Fragebogen im Hinblick auf die UX-Prinzipien
- Workplace-Interviews zur genaueren Untersuchung
Besondere Eigenheiten der Museumsmitarbeiter
Zu Beginn meiner Recherche vermutete ich sehr hohe Ansprüche der Kuratoren an ihre Arbeitsmittel und war daher über ihre Bescheidenheit überrascht.
Die ganze Konzentration der Kuratorinnen galt der Ausstellungsproduktion, für sich selbst waren sie sehr zurückhaltend.
DAS HIN UND HER
Die Arbeitsweise von User Experience Design war in diesem staatlichen Museumsbetrieb noch gänzlich unbekannt.
In drei Stufen sorgte ich für vertrauensbildende Kommunikation:
- Transparenz
Wir kündigten offen an, dass zur Verbesserung der Museumsarbeit Recherchen stattfinden würden. - Ermutigung
Vor Beginn jeder Maßnahme sprach mein Team mit der Belegschaft in Meetings, die ohne mich stattfanden. So konnten alle Mitarbeiterinnen offen ihre Befürchtungen äußern. - Sicherheit
Jeder Einzelne erhielt die Zusicherung, dass unsere Recherchen keine Überprüfung ihrer Arbeitsleistung darstellten.
Iso-Norm-Fragebogen
Zuerst begann ich mit einer breit angelegten Befragung der Mitarbeiter per Fragebogen zu den 7 UX-Dialogprinzipien:
Aufgabenangemessenheit, Selbstbeschreibungsfähigkeit, Erwartungskonformität, Lernförderlichkeit, Steuerbarkeit, Fehlertoleranz, Individualisierbarkeit
Die veraltete Museumssoftware wurde insgesamt unterdurchschnittlich bewertet, als besonders unzureichend wurden jedoch die folgenden Gebiete befunden:
- Individualisierbarkeit
Hier wurde besonders kritisiert, dass man das System nicht an das technische Niveau des Benutzers anpassen kann. - Lernförderlichkeit
Konkret erschlossen sich den Mitarbeitern die Funktionen und Möglichkeiten der Software nur in sehr geringem Maß. - Fehlertoleranz
Das System gab den Usern keine Unterstützung bei Fehlern oder Korrekturen.
Workplace-Interviews
Nach der Auswertung der Fragebögen habe ich fünf Mitarbeiter aus verschiedenen Abteilungen an ihrem Arbeitsplatz befragt und mir Notizen gemacht.
- Zuerst habe ich sie nur dabei beobachtet, wie sie ihre routinemäßigen Arbeiten im System verrichten.
- Dann habe ich sie gebeten, mir zu erklären, was sie da tun oder vielleicht gerne tun möchten.
- Im Besonderen interessierte ich mich für die problematischen Themen der vorangegangenen Befragung — Inidividualisierbarkeit, Lernförderlichkeit und Fehlertoleranz.
Herausforderung
Meine Gesprächspartner hatten sich in unterschiedlichem Maß damit abgefunden, unter der Software zu leiden.
- Wie konnte ich sie zu Gedanken über Verbesserung anregen?
Lösung
Als bestes Mittel stellte sich folgende Frage heraus:
Wenn wir zaubern könnten, was sollte dann möglich sein?
Darauf konnten alle gut mit ihren Wünschen und Bedürfnissen antworten.
Konkretes Finding aus den Workplace-Interviews
Da es keine Dokumentation gab, befragten sich die Mitarbeiter gegenseitig über ihre Erfahrungen mit dem System.
Aus dieser Beobachtung heraus machte ich eine ausführliche Beschreibung der zukünftigen Software zu einer wesentlichen Anforderung für die Ausschreibung.
Verworfene Annahme
Eine Ausgangshypothese meines Teams war, dass es innerhalb der einzelnen Abteilungen im Museum einheitliche Arbeitsweisen gibt. Wir fassten beispielsweise Kuratoren für Fotografie zusammen, im Unterschied zu Archäologen.
Es hat sich jedoch herausgestellt:
- Jede Kuratorin erarbeitet ihre Austellungen mit ihrer eigenständigen, kreativen Heransgehensweise.
- Einige sind sehr textlich ausgerichtet, schreiben und recherchieren viel.
- Andere orientieren sich primär an Material, Farbe, Morphologie usw.
Die Anforderungen an das System, mit dem sie ihre Tätigkeit verrichten, sind völlig unterschiedlich.
Output
Daher war ein Ergebnis meiner Research das Kreieren von Personas, die als Repräsentationen für die äußerst unterschiedlichen Nutzergruppen dienten.
Diese Leitlinien richteten die zukünftige Softwareanpassung aus.
PASSION FOR DETAIL
Aus der User Research ergaben sich Fragen, die wir überprüfen wollten:
- Was verstehen Kuratoren unter individueller Anpassung?
- Sind die Vorstellungen der Kuratoren umsetzbar?
- Würde es wirklich einen bedeutsamen Unterschied machen?
Wir beschlossen, diese Punkte mit Working Prototypes für zwei Austellungen zu testen.
Formulare und Felder
Für die kommenden Austellungen “Geteilte Geschichte. Viyana — Beč — Wien” und “Sex in Wien” waren 1.500–2.000 Objekte aus Privatbesitz der Wiener Bevölkerung zu erfassen.
Dafür hätten diese Artefakte alle ins Museum am Karlsplatz gebracht werden müssen.
Plan
Die Objekte sollten remote erfasst werden.
- Ich setzte Formulare für die Katalogisierung per gesichertem Web-Login auf.
- Mit den jeweiligen Kuratorinnen definierten wir genauestens die benötigten Felder.
Resultat
Die Erfassung der Artefakte per Web-Login konnte zufriedenstellend durch externe Mitarbeiter erledigt werden.
- Die Kuratorinnen verstanden unter individueller Anpassung die präzise Bezeichnung und Reihenfolge der Formularfelder zur Datenerfassung für ihre Ausstellung.
- Die Ansprüche an die konkrete Gestaltung der mehrseitigen Formulare waren sehr schlicht.
- Die dezentrale Erfassung der Artefakte ersparte den Kuratorinnen viel Arbeitszeit.
Durch diesen Test erhielt ich konkrete Ergebnisse als Überprüfung meiner Research.
Überraschung
Annahme
Ich empfand die nicht mehr zeitgemäße visuelle Gestaltung der veralteten Museumssoftware als problematisch.
- Mit einem aktivierenderen Design wollte ich die Experience der Bedienung verbessern.
Vorschlag
Präsentation eines Entwurfs für die beiden Austellungsformulare:
- Splashscreen und Hero-Shot gestaltet mit Kunstwerken aus dem Museum.
Ergebnis
Die Kuratoren akzeptierten die Behübschung, solange es ihre Formularfelder nicht behinderte.
- Ein Mehrwert war durch das Visual Design jedoch nicht gegeben, die Gestaltung der Formulare hatte Priorität.
Learning
Kuratoren operieren unter hohem Zeitdruck und verarbeiten enorm viele Informationen mit schneller Frequenz.
- Performance zählt
Jede zusätzliche Interaktion summiert sich im Lauf eines Arbeitstages zu hunderten Mehrklicks oder Seitenaufrufen.
Gutes UX der Formulare war hier entscheidend, das Visual Design hatte sich dem unterzuordnen.
Technische Umsetzung
Sobald die Formulare vollständig definiert waren, erfolgte die Realisierung sehr zügig mit:
- Wordpress und Gravity-Forms Plugin
- Export der Daten aus dem Webinterface ins System des Museums
DER SCHLUSSSTEIN
Für die Finanzierung des neuen Systems war das wirkungsvollste Feature die Öffnung der kuratierten Ausstellungen als Online Sammlung.
- Durch die Webseite sind die Austellungen auch nach ihrem Auslaufen präsent.
Proof-of-Concept
Um dieses Feature zu testen, haben wir einen Auszug von Sammlungen aus der Datenbank exportiert.
- Anhand dieses Datenbankexports gestaltete ich einen Prototypen.
Ergebnis
Ich konnte damit Folgendes beweisen:
- Ausstellungen, Sammlungen oder auch nur einzelne Werke können aus dem System heraus auf einer eigenen Seite online gestellt werden.
- Die Arbeit und die Werke im Besitz des Museums sind für eine weltweite Präsentation sehr attraktiv.
Die Konzeptionsarbeit des gesamten Teams sowie mein UX-Consulting lieferten Nutzen für die Finanzierung des Projekts.
Die Übergabe
Durch die Präsentation der Objekte online wurde für das Wien Museum erkennbar, wie viel durch eine Systemumstellung zu gewinnen ist.
Mit der dokumentierten Research und den umgesetzten Prototypes konnte ich der Museumsleitung ein fertig finanzierbares und umsetzbares Konzept übergeben.
Relevanz
Öffentlichkeit ist die Währung der Kuratoren sowie der Museumsleitung und der Kulturpolitik.
Durch die Online Sammlung als Leuchtturm lukrierte das Museum den kalkulierten Bedarf.
DAS WEITERGEBEN DER STAFFEL
Mittels Ausschreibungen wurde die Umsetzung der jeweiligen Maßnahmen mit einem Mix aus großen Softwareanbietern, Agenturen und einzelnen Programmierern beauftragt.
Die neue Softwarelandschaft bewirkte:
- Optimale Arbeitsbedingungen für Kuratoren und Registrare
- Aufwands- und Kostenminimierung in der IT und den internen Services
- Öffentlichkeit für das Museum und die Stadt Wien durch die Online Sammlung
- Geschäftszuwachs aufgrund der erhöhten Austellungsproduktion und mehr Besuchereinnahmen
Seitdem das Konzept erfolgreich auf der kulturpolitischen Ebene — im mittleren sechsstelligen Bereich — finanziert wurde, erhielt die IT des Museums jährlich Budgeterhöhungen.